Büropsychologie — Mach’s doch einfach!
Was wäre, wenn …? Bei wichtigen Entscheidungen hilft Grübeln nur begrenzt
Soll ich? Oder lass ich’s lieber sein? Bei Karrierefragen lassen wir im Zweifel lieber alles beim Alten – und quälen uns hinterher mit dem “Was wäre gewesen, wenn …?”. Wie man den Kreislauf durchbricht, weiß Volker Kitz.
Soll ich mich freiwillig für das neue Projekt melden? Würde es mir in einer anderen Abteilung besser gefallen? Soll ich Elternzeit nehmen? Soll ich mich selbstständig machen? Soll ich mich für heute Abend im Kino verabreden? Fragen über Fragen quälen uns jeden Arbeitstag.
Wir wissen nicht, wie es in der anderen Abteilung wirklich ist und ob die Elternzeit sich hinterher als kluge Entscheidung herausstellt. Und schon gar nicht, ob der Film am Abend wirklich so gut ist. Deshalb neigen wir eher dazu, “nein” zu sagen. Verantwortlich dafür ist der sogenannte “Unterlassungsirrtum”: Wir haben mehr Angst davor, uns durch aktives Tun in die Misere zu bringen, als dadurch, dass wir einfach nichts unternehmen – selbst wenn die Misere beim Nichtstun größer ist.Die Frage ist aber: Wie lange fühlen wir uns mit dieser Entscheidungsstrategie besser?
In Studien fragt man Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, wie sehr sie bereuen, etwas getan oder nicht getan zu haben. Dabei taucht ein immer ähnlicher Zeitplan auf: Kurz nachdem Menschen etwas Ungünstiges getan haben, bereuen sie, dass sie überhaupt etwas getan haben. Aber je mehr Zeit vergeht, desto mehr bereuen sie die Dinge, die sie nicht getan haben. Wie wir über die Vergangenheit denken, kehrt sich also im Laufe der Zeit genau um.
Schuld daran ist das “kontrafaktische Denken”, wie in der Fachsprache unser “Was wäre, wenn gewesen …”-Denken heißt. Wir denken über unsere Vergangenheit nicht nur so nach, wie sie war. Wir malen uns auch ständig Alternativen dazu aus. Die Szenarien in unserem Kopf können besser oder schlechter sein, als die Realität es war. Entsprechend kann kontrafaktisches Denken dazu führen, dass wir uns gut fühlen oder schlecht: Ob wir uns freuen oder etwas bereuen, hängt ganz von uns selbst ab – davon, wie wir das kontrafaktische Denken einsetzen. Theoretisch.Über “Vielleichts” kann man bis zum Lebensende nachgrübeln
Doch in der Realität hat man festgestellt: Erstens fantasieren wir eher über unser eigenes Verhalten als darüber, dass auch andere Menschen sich anders hätten verhalten können. Zweitens malen wir uns lieber Situationen aus, in denen es für uns besser gelaufen wäre, als dass wir darüber nachdenken, dass es auch schlechter hätte laufen können.
Und drittens grübeln wir eher nach über die Option “Was, wenn ich XY getan hätte?” als über “Was, wenn ich XY nicht getan hätte?” Das gibt ja auch viel mehr Denkstoff her: Was hätte alles passieren können, wenn … Über all die offenen “Vielleichts” können wir tatsächlich bis an unser Lebensende nachgrübeln.
Unterm Strich bedeutet das: Auf längere Sicht beschäftigt sich Ihr Gehirn am liebsten mit dem, was Sie versäumt haben, als mit etwas, was Sie nicht getan haben.Zwingend ist das nicht – es ist nur eine Tendenz. Da Sie den Effekt nun kennen, können Sie öfter mal bewusst wahrnehmen, was da gerade genau passiert in Ihrem Kopf, wenn Sie über die Vergangenheit und ungelegte Eier nachdenken. Sie können eingreifen und sich zum Beispiel angewöhnen, öfter mal darüber nachzudenken, was schlechter hätte laufen können. Und wo Sie genau richtig gehandelt haben.
Aber die wichtigste Einsicht lautet: Tun Sie es! Probieren Sie es einfach mal aus. Es gibt ohnehin kaum Entscheidungen, die man nicht wieder rückgängig machen könnte – selbst Päpste treten heutzutage zurück. “Ja” sagen macht das Leben nicht nur interessanter. Auf lange Sicht steigert auch jedes “Ja” Ihr Glück. Jahr für Jahr.
-
Mareike Föcking
Volker Kitz (links) hat Jura und Psychologie studiert und unter anderem als Wissenschaftler am Max-Planck-Institut gearbeitet. Heute lebt er als freier Autor in München. In der Reihe “Büropsychologie” stellen wir seine besten Bürotricks vor. Sie sind seinem aktuellen Buch entnommen: “Warum uns das Denken nicht in den Kopf will. Noch mehr nützliche Erkenntnisse der Alltagspsychologie” (gemeinsam mit Manuel Tusch, rechts).
Leave a Reply