Der Abend auf dem Ausflugsdampfer “Spree-Comtess” war perfekt choreografiert. Zuerst wurden die Gäste unter Deck geführt und mit Bier und Wurstbrötchen verköstigt. Dann heizte ein junger Moderator dem meist älteren Publikum mit derben Sprüchen über die “merkelsche Masseneinwanderungspolitik” ein. Als der Kahn das Berliner Regierungsviertel passierte, begann der tschechische Expräsident Và¡clav Klaus seinen Vortrag – der Höhepunkt des Abends. Unter dem Jubel der Zuhörer wetterte Klaus, neuerdings ein Star der Neuen Rechten, gegen “politische Korrektheit”, “Massenmigration” und “Klimaalarmisten”.
Die Schiffstour am Mittwoch klang nicht nur verdächtig nach den Rechtspopulisten der AfD, sie wurde auch von deren Unterstützern organisiert.
Als Veranstalter trat der “Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten” auf. Der Klub führte zuletzt kostspielige Wahlkampfaktionen für die AfD durch. Vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und jetzt Berlin ließ der Verein millionenfach seine Gratiszeitung “Extrablatt” in Briefkästen werfen, in der er offen zur Wahl der AfD aufrief. Er organisierte auch Plakatkampagnen, unter anderem mit dem Slogan: “Damit Deutschland nicht zerstört wird! Jetzt AfD wählen”.
Bislang verschwieg der Verein, wer hinter den Kampagnen für die Rechtspopulisten steckt. Medien und Politiker anderer Parteien rätselten, wer die finanzstarken Sponsoren der AfD sein könnten. Die Partei selbst weist stets jegliche Verbindung zu dem ominösen Klub zurück. Seit der Spreefahrt vom Mittwoch gibt es eine Spur – sie führt in die Schweiz.
Denn an dem Berliner Event nahm auch der umstrittene Politwerber Alexander Segert teil. Der 53-jährige Deutsche, der 1985 in die Schweiz übersiedelte, entwirft mit seiner PR-Agentur Goal AG im Kanton Zürich die Kampagnen der rechten Schweizerischen Volkspartei SVP.
Nun ist Segert auch in Deutschland aktiv. Bei der Bootsfahrt am Mittwoch kümmerte er sich um die Organisation. Segert stand an der Einlasskontrolle, als die Gäste eintrudelten, wies die Security-Leute an und dirigierte das angeheuerte Kamerateam. Nach SPIEGEL-Informationen charterte seine Goal AG auch den Berliner Ausflugsdampfer – und war an den umfangreichen Plakatkampagnen zugunsten der AfD vor den Landtagswahlen maßgeblich beteiligt.
Die Swiss-Connection ihres Unterstützerklubs wirft für die AfD eine Woche vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus unangenehme Fragen auf: Sitzen die Geldgeber womöglich im Ausland? Sollen über die Schweiz Spuren zu potenten Gönnern vertuscht werden, die nicht mit der AfD in Verbindung gebracht werden wollen?
Die Merkwürdigkeiten begannen im Frühjahr, als in fast zwei Millionen Haushalten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg eine Gratiszeitung, genannt “Extrablatt”, landete (SPIEGEL 10/2016). Kurz vor dem Urnengang konnten die Wähler darin hetzerische Artikel gegen Flüchtlinge und einen Wahlaufruf für die “neue, mutige” AfD nachlesen.
Wer die Kampagne finanzierte, blieb geheim. Offenbar gab es zahlungskräftige Spender, die sich nicht offen zu den Rechtspopulisten bekennen wollten.
Allerdings führten damals Spuren zur AfD. Im Impressum wurde Josef Konrad als Chefredakteur genannt, zeitweise stellvertretender Schatzmeister der AfD in Oberfranken und Kommunikationsberater der Partei. Seine Polifakt Medien GmbH mit Sitz in Leipzig veröffentlichte Pamphlete, die von AfD-Funktionären für Wahlkämpfe und innerparteiliche Fehden benutzt wurden.
Auf Anfrage teilte Konrad im März mit, die AfD habe mit dem “Extrablatt” nichts zu tun. Auch die Parteispitze beteuerte, nichts davon gewusst zu haben. Der AfD-Chef aus Baden-Württemberg, Jörg Meuthen, erklärte, das “Extrablatt” sei ihm “noch nicht einmal unter die Augen gekommen”. So versuchte die AfD, den Verdacht einer verdeckten, illegalen Parteienfinanzierung auszuräumen, nach dem Motto: Können wir doch nichts dafür, wenn jemand viel Geld für uns ausgibt.
Beim Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wiederholte sich das Versteckspiel. Wieder tauchten in Briefkästen die Extrablätter des Unterstützervereins auf. Wieder wollte die AfD nichts damit zu tun haben.
Dieses Mal verschwand der Name Josef Konrad aus dem Impressum. Als Herausgeber wurde nur noch der Verein genannt, als Adresse ein Postfach in Stuttgart.
Ganz anonym blieben die Macher aber nicht. Die Vereinswebsite Rechtundfreiheit.de ist heute auf den Namen von Michael Paulwitz angemeldet, einem ehemaligen Mitglied der rechtsextremen Republikaner. Bei der Bootstour am Mittwoch saß Paulwitz ganz vorn neben dem Rednerpult, er wurde von Stargast Và¡clav Klaus namentlich begrüßt.
Irgendwann zog sich Paulwitz in den vorderen Bereich des Schiffs zurück, von wo aus auch Alexander Segert von der Goal AG den Abend verfolgte. Die beiden dürften einiges zu bereden haben, Segerts PR-Firma mischte zuletzt ordentlich bei den Werbeaktionen des Unterstützerkreises für die AfD mit, wie SPIEGEL-Recherchen ergaben.
Nach Angaben von Insidern buchte die Schweizer Goal AG allein in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin mehrere Hundert Plakatflächen, vorzugsweise sogenannte Großflächen, auf denen der Verein unverhohlen Parteiwerbung machte (“Jetzt AfD wählen”). Die Insider beziffern die Kosten der beiden Plakatkampagnen auf “weit mehr als 200.000 Euro”.
Die opulente Unterstützung aus der Schweiz sorgte bei der AfD-Basis für Entzücken. “Ein riesengroßes Dankeschön für die Wahlkampfhilfe der unbekannten Plakatspender, die diese Plakate über ganz Rostock verteilen ließen!”, jubelte etwa der örtliche Kreisverband im August auf seiner Facebook-Seite.
Zu den Plakatkampagnen wollte sich Goal-Geschäftsführer Segert auf SPIEGEL-Anfrage nicht äußern. “Leider geben wir grundsätzlich keine Auskunft über unsere Aktivitäten sowie unsere Kunden”, teilte er pauschal mit, “weder über vergangene, aktuelle, potenzielle oder uns unterstellte Aktivitäten oder Kunden.”
Ob seine PR-Firma auch etwas mit den Gratisblättern zu tun hat, wollte er ebenfalls nicht sagen. Es gibt jedoch Auffälligkeiten. In der Schweiz gestaltet die Goal AG eine Gratiszeitung für die SVP. Der Name der Publikation: “Extrablatt”, genauso wie in Deutschland.
Auch inhaltlich bewegen sich die Druckwerke auf einer Linie. Es geht um Ausländerkriminalität, Asylmissbrauch und die angeblich bedrohte Sicherheit der Bevölkerung, wobei die deutsche Ausgabe besonders Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik ins Visier nimmt.
Segert gilt als kühler PR-Stratege, der es versteht, die Menschen mit klaren Botschaften anzusprechen. Seine Goal AG entwarf die Kampagne zur Schweizer Volksinitiative “Für die Ausschaffung krimineller Ausländer”, die die SVP angestoßen hatte. Auf Plakaten tritt ein weißes Schaf ein schwarzes von der Schweizer Landesflagge. Das Motiv wurde zum Exportschlager, rechte Parteien in anderen Ländern kopierten die Idee mit den Schafen, in Deutschland war es die NPD.
Mitunter bewegt sich Segert bei seiner Arbeit in Graubereichen. Die “Neue Zürcher Zeitung” enthüllte, dass die SVP im Wahlkampf 2007 Aufträge der Goal AG in bar bezahlte. Insgesamt habe Goal gemäß einer Liste damals knapp 270.000 Franken in bar erhalten. Segert wollte sich seinerzeit nicht zu den Zahlen äußern.
In à–sterreich wurde der Geschäftsmann wegen “Verhetzung” angeklagt. Seine Firma hatte für die rechtspopulistische FPà– ein besonders übles Computerspiel programmiert. Auf dem Bildschirm ploppten Minarette und Muezzins auf, die der Nutzer mit der Maus abschießen konnte. Am Ende des Spiels erschien die Nachricht: “Die Steiermark ist voller Minarette und Moscheen! Damit das nicht geschieht: Am 26. September Dr. Gerhard Kurzmann und die FPà– wählen!” Doch Segert wurde vor Gericht freigesprochen.
Nimmt auch die AfD die Dienste des Schweizer Werbers in Anspruch? Der Berliner Spitzenkandidat Georg Pazderski beteuert, keinen Kontakt zur Goal AG zu haben. Zwar bediene sich sein Landesverband tatsächlich der Dienste einer “Schweizer Werbeagentur”, aber “einer anderen”. Den Namen will er allerdings nicht nennen.
Die Initiatoren der Berliner Plakatkampagne und der Wahlkampfzeitung “Extrablatt”, die Pazderski ein werbewirksames Porträt (“Einer, der anpackt”) widmete, seien ihm völlig unbekannt. “Da steckt dieser ominöse Verein dahinter”, so Pazderski. “Ich weiß nicht, wer sich dahinter verbirgt, ich weiß auch nicht, wer das finanziert.” Den Chef der Goal AG, Alexander Segert, kenne er auch nicht.
Der SPIEGEL sprach Segert am Rande der Dampferfahrt an. Er sei “privat” hier, sagte Segert. Auf die Nachfrage, warum eine Mitarbeiterin der Goal AG das Boot gechartert habe und er sich vor Ort um die Organisation kümmere, wollte er sich nicht weiter äußern. Auf einen schriftlichen Fragenkatalog antwortete Segert am nächsten Tag kurz. Er gebe keine Auskunft darüber, “was ich in meiner Freizeit mache”.
Auch Vereinsvertreter Paulwitz antwortete schmallippig. Herr Segert “unterstützt” das Event, sagte er auf dem Boot. Welche Rolle der PR-Mann bei dem AfD-Unterstützerkreis genau spiele, sagte er nicht. Auch die Finanziers des Unterstützerkreises wollte er nicht offenlegen. Der Verein befinde sich in der Gründung.
Nach etwa zwei Stunden endete der Schiffsausflug auf der Spree. Einige Gäste deckten sich am Bücherstand mit dem neuen Werk von Và¡clav Klaus über die “Völkerwanderung” ein, andere griffen zur Abhandlung “Freiheit statt Demokratie. Russlands Weg und die Illusionen des Westens”. PR-Mann Alexander Segert, Vereinsvertreter Paulwitz und der Moderator stiegen am Anleger in einen wartenden Minibus und verschwanden in der Berliner Nacht, vorbei an AfD-Plakaten.
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